Samstag, 3. Oktober 2015

Windel Erstlingswerk

Alles wird besser, vielleicht sogar gut

Ich hatte es verbockt. Aber so richtig. Das durfte doch alles nicht war sein. Wochenlang hatte ich meine Mutter angebettelt, diesen Urlaub machen zu dürfen. Mit Onkel Phil. Papas jüngerem Bruder. Phil war so ziemlich die coolste Sache, die meine Abstammung väterlicherseits mit sich brachte.



Ganz im Gegensatz zu meinem Herrn Vater selbst. Der hatte sich vor drei Jahren nach Südamerika abgesetzt hatte. Mit unseren Ersparnissen und einer wirklich schwer zu ertragenden Kellnerin, die sich für mindestens so attraktiv hielt wie Heidi Klum und ständig von ihrer langsam in Fahrt kommenden Model-Karriere faselte. Is klar. Selbst als damals fast Neunjähriger hatte ich schnell herausbekommen, dass sie bei einer weltbekannten Dönerbraterei “kellnerte” und sich ihre Model-Erfahrung auf einen Auftritt ihrer Fingernägel in einem “Nur ab Mitternacht auf einem regionalen Spartenkanal zu sehenden”-Werbespot für ein Sonnenstudio mit angeschlossener “Nagel-Manufaktur” handelte. Sehr arm. Aber doch anziehend genug, für meinen alten Herrn. Noch viel ärmer.

Er verschwand also. Einfach so, über Nacht. Nicht, dass das irgend etwas geändert hatte. Er war auch vorher praktisch nie da gewesen. Abwechseln beruflich Dauerunterwegs oder auch mal im Knast. Weil immer mal wieder selbstständig und in steuerlichen Angelegenheiten nicht ganz so eine große Leuchte. Seitdem waren Mama und ich alleine. Oder besser: zu dritt. Denn da gab es ja noch Sandy, bzw. Sandra. Meine große Schwester. Und groß, meint in diesem Fall beides: Alter und Körperbau. Sandra war 21, studierte Sport und nochwas auf Lehramt und spielte nebenher Basketball in der Bundesliga. Ich mochte meine große Schwester. Sie war cool, nett und praktisch fast nie da. Entweder in der Uni, oder beim Training, oder beim Spiel, oder mit ihren coolen Freunden unterwegs. Alles Galaxien enternt, für nicht ganz so groß und beeindruckend geratenen Nachzügler wie mich. Aber : sie ließ mich in Ruhe. Außerdem war es hin und wieder ganz pratisch, eine “berühmte” und körperlich so ziemlich jedem Kerl überlegene Schwester zu haben. Die meisten Spinner ließen mich deshalb in Ruhe.

In meinem kleinen Mikrokosmos hatte sich seit dem Abgang meines Papas also theoretisch nicht viel verändert. Praktisch aber alles. Der Grund war, natürlich das Geld. Mama arbeitete halbtags als Arzthelferin bei einem Dermatologen und musste nach dem Papa-Exit umstellen auf eine 100%-Stelle. Damit kamen wir gerade so über die Runden. Aber vor allem deshalb, weil wir im geerbten Häuschen von Mamas Großeltern lebten und meine Mutter sich wenig um teure Trends scherte, die ein Neunjähriger so anschleppt. “Wir sind ein Durchschnittsfamilie, der ein Durchschnittsmann fehlt!”, war ihr Lieblingsspruch. Ich hasste diese Floskel. Weil sie davon unter gar keinen Umständen abweichen würde. Niemals. Knsequenz war in solchen Dinge ihr zweiter Vorname. In der Welt eines Schüler ist “Durchschnitt” der Eintrittskarte ins Niemandsland. Vor allem, wenn man auf eine Privatschule geht. Eine sündhaft teure Privatschule. Die einzige Extravanganz, die Mama sich (und wie sie hoffte mir), zugestand. Und hey, für jemand, der den Mangel an staatlchen Bildungseinrichtungen kennt, war die Bucheckern-Schule sicher so etwas wie der Himmel auf Erden. Kleine Klassen, topmodern ausgestattete Klassenzimmer, ein wirklich saucooler Pausenhof mit Labyrinth, Quad-Bahn und chilligen Lounge-Möbeln. Nachmittags dann keine klassische Schüleraufbewahrung, sondern Neigungsangebote. Was so ziemlich alles sein konnte: Klettern an der schuleigenen Kletterwand, Downhill-Mountainbiken, Programmieren, Diskutieren und so ziemlich jeder Ballsportart, die man sich vorstellen konnte. Noten? Ja, die gab es, bestimmt. Sie interessierten in der Grundschule, bzw. der Unterstufe nur wirklich niemand. Es ging um einen ganheitlichen, kooperativen Bildungsansatz. Sitzenbleiben ausgeschlossen. So ein pädagogisches Wunderding hatte eine beinahe magische Anziehung auf ganz bestimmte Gesellschaftsschichten: Neureiche Nachkommen der zweiten Alt-68er-Generation, Sprösslinge des alten Geldadels und Vertreter des besserwisserischen Bildungsbürgertums. Ein Durchschnitts-Paul war im strategischen Plan unserer Schule nicht vorgesehen. Und genau das war mein Problem. Nicht falsch verstehen: Mobbing oder Gewalt gab es in meinem Umfeld nicht. Höflichkeit und ein anständiger Umgang miteinander waren Grundregeln, die an der Bucheckern-Schule definitiv nicht verhandelbar waren. Glaubt mir: bedeutungloser Smalltalk kann schlimmer sein, als eine gut gepflegte Feindschaft. Ich bot zudem denkbar wenig Angriffsfläche. Meine Mutter achtete trotz ihres knappen Budgets peinlich genau darauf, dass ich immer gut angezogen war. Klassische aber hochwertige Jeans, schlichte Shirts und Pullover. Immer dunkle Schuhe. Alles Immer möglichst Ton in Ton. Gerne aus der Erbmasse von Cousins und anderen Durchschnittstypen. Ich besaß in der Tat nur eine Hose, die man mit ein bisschen gutem Willen als modern bezeichnen konnte. Dazu maximal zwei Shirts, die so etwas wie ein Markenlogo trugen. Dazu eine leicht zu rekonstruierende 08/15-Frisur. Ich war die Nachwuchs-Ausgabe eines städtischen Verwaltungsangestellten. Alles kein Problem, so lange der Rest der Klasse noch nicht viel auf bestimme Marken, TV-Serien und Styles gibt. Anstrengend wurde es eigentlich erst im letzten Jahr. Während um mich rum die Klamotten bunter und teurer, die Frisuren abgefahrener, die Smartphones größer und die Themen jugendlicher wurden, veränderte sich bei mir: nix. Zumindest nicht äußerlich. Dafür drehte sich die Stimmung in meinem Kopf. Das war schon immer so. Meine Realität spielte sich seit ich denken kann in meinem Kopf ab. Da war ich mutig, schlagfertig, clever und aufmüpfig. In der Welt draußen kam davon aber praktisch nie was an. Es war, als führten mein Hirn und mein Körper zwei getrennte Leben. Kurz nach meinem zweiten Geburtstag änderte sich das. Zumindest ein bisschen. Aus dem pflegeleichten Paul wurde ein bockiger Einzelgänger. Schule? Interessierte mich nur noch am Rande. Körperlich anwesend. War ja auch kein Problem. So ganz ohne Notendruck. Ich konnte nicht dazugehören. Also kapselte ich mich ab. Fokussierte mich auf meine Tagträume. Und meine tragbare Spielkonsole. Die hatte ich mit meinem letzten positiven Zeugnis, das bei uns “Jahreszusammenfassung” hieß, meiner Mutter abgetrotzt, die eigentlich keinerlei Verständnis für solche Technik-Spielzeug hatte. Onkel Phil schon. Er besorgte mir das Ding, inklusive einer ganzen Sporttasche voller Spiele. Mama wusste natürlich nur von ein paar wenigen Games. Die Tasche mit meinem Spiele-Schatz stand, als Onkel Phil längst wieder auf dem Heimweg war, einfach so in meinem Zimmer.

Ab diesem Zeitpunkt war ich dem Ding verfallen. Jede freie MInute daddelte ich. Und ich hatte Zeit. Viel Zeit. Schule war easy. Viele Hobbys hatte ich nicht. Und die wenigen Aktivitäten, die regelmäßig anstanden, schraubte ich auf Null herunter. Pfadfinder und Schwimmkurs? Alles Geschichte. Mama versuchte sporadisch, etwas gegen meine sich entwickelnde Spielsucht zu unternehmen. Als Verbote und festgelegte Spielzeiten nicht halfen, kassierte sie die Spiele ein. Sie wusste ja nichts von der Tasche im Keller mit einem quasi unerschöpflichen Nachschublager.

Praktisch gleichzeitig mit dem Einzug der Spielkonsole entstand auch die Idee mit dem Urlaub bei Onkel Phil. Der wohnte in einem umgebauten Bahnhof an der dänischen Grenze und wollte sich in den Herbstferien 14 Tage auf Sylt und Römö erholen. Er war Mode- und Werbefotograf und hatte in der Zeit vorher prall gefüllte Auftragsbücher. Jede Woche ein anderes Land, bzw. ein anderer Kontinent. “Da will ich mal eine Weile nichts anderes als Wind und Wellen sehen!”, erklärte er meiner Mutter. Und fragte ganz beiläufig, ob Sie was dagegen hätte, mich mitzunehmen. Der Knaller. Ich war sofort hin und weg. Natürlich. Abgesehen von Baggersee und einmal Kurzurlaub bei Oma Lieselotte im Allgäu war mein Ferienerlebniskonto chronisch im Minus. Der Rest war eine Kombi aus Hundeblick (ich), Argumenten (Phil), Betteln (ich), Argumenten (Phil), heulen (ich) und Argumenten (Phil). Tatsächlich dauerte es auch wirklich nicht lange, bis Mama einwilligte. Es passte sogar ganz gut. Parallel zu Job und der Betreuung ihres vorpubertären Sohns büffelte Mama nämlich für ihre Heilpraktikerprüfung und konnte ein bisschen Ruhe im Haus sehr gut gebrauchen.

Das Problem: Die nächsten Monate. In der Schule. Privat. Und überhaupt. Ich daddelte praktisch ununterbrochen. Meine Aufgaben im Haushalt blieben alle liegen. Ich verschwand praktisch aus dem Alltag. Das Fass zum Überlaufen brachte eine schriftliche Information der Schule über meinen aktuellen Leistungsstand, die am letzten Schultag vor den Ferien ins Haus flatterte. Zwei Tage vor der geplanten Abreise mit Onkel Paul. Inhalt: Paul ist lediglich körperlich anwesend. Hält sich nicht an Regeln. Ignoriert Arbeitsaufträge und erledigt keine der ihm übertragenen Aufgaben. Grande Katastrophe. Ich rechnete mit dem Anschiss meines Lebens. Der blieb aber aus. Statt dessen griff sie zum Telefon, wählte eine Nummer und sagte, nach den üblichen Begrüßungsfloskeln: “Nein Phil, Paul wird nicht mit dir in den Urlaub fahren!”. Schockstarre. Dann “Was passiert ist? Das soll er dir schön selbst sagen!”. Pause. Dann drückte sie mir das schnurlose Telefon in die Hand, schob mich in mein Zimmer und schloss die Tür. Erst jetzt spürte ich, wie mir die Tränen über die Wangen liefen. Ich zitterte. Und hörte aus weiter Ferne Onkel Phils Stimme, der wissen wollte, was denn los sei? Sprechen ging aber noch nicht. Ich hatte Rotz in der Nase, einen Klos im Hals und war komplett panisch. Phil ließ mich heulen. Blieb einfach in der Leitung. Nach zehn Minuten hatte ich mich soweit im Griff, dass zumindest wieder so etwas wie ein Gespräch zustande kommen konnte. Und dann redeten wir. Oder besser: ich redete. Der ganze Frust der letzten drei Jahre kam hoch. Mein dämlicher Vater, diese ätzende Schule, die Ungerechtigkeit, die Demütigungen als Durchschnitts-Niemand. Einfach alles. Phil sagte wieder nicht viel. Ein gefühltes Leben später war ich fertig. Alles Leer. Feuerrote Augen und ein klatschnasses Kopfkissen mit TKKG-Bezug. Wie ich diese Bettwäsche hasste. Wieder so ein Erbstück. Phil atmete tief aus und sagte dann: “Wir kriegen das wieder hin! Versprochen!” Was? Wovon träumte der denn? Da gab es nichts mehr hinzukriegen. Niemand. Wirklich niemand konnte meine Mutter umstimmen. Nicht Frau 1000 Prozent. “Gib mir mal deine Mutter!”, sagte die Stimme aus dem Telefon optimistisch. “Ich bin gleich bei euch!”. Was? Erst jetzt bemerkte ich, dass Phil offensichtlich aus dem Auto telefonierte. Wie lange denn schon, um Himmels willen? Wie ferngesteuerte schwankte ich in Mamas Büro. Sie war blass. Ich drückte ihr das Telefon in die Hand und ging zurück in mein Zimmer. Es war spät. 21.30 Uhr. Eigentlich sollte ich seit einer Stunde im Bett sein. Nicht noch mehr Angriffsfläche bieten, sagte irgend eine Stimme in meinem Hinterkopf. Also zog ich mich aus. Der verheulte blaue Pulli musste in die Wäsche. Überall Tränen und Rotz. Dann die Jeans, der weiße Rolli, das Unterhemd, die grüne lange Unterhose und die grauen Kniestrümpfe mit Superman-Logo. Mein Standard-Outfit, wenn hier auf dem Land der Herbst mit aller Macht durchs Land fegte. Alles flog in die Wäsche. Dann Zähne putzen, Haare kämmen und den TKKG-Schlafanzug anziehen. Der nervte mit eigentlich tierisch. Aber auch da war Mama eisern. Ich hatte vor zwei Jahren Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, die volle TKKG-Ausstattung zu bekommen. Als ich alles zusammen hatte, war ich glücklich. Das war aber vor zwei Jahren. Inzwischen war mir der ganz kindische Detektiv-Quatsch einfach nur peinlich. Aber: Ich hatte massig Zeug mit TKKG-Logo. Und alles passte noch. Wie gesagt, ich war wirklich kein Riese. Heute war mir das ganz egal. Ich marschierte vom Bad ins Büro meiner Mutter. Sie telefonierte immernoch. Oder wieder? Mit Onkel Phil? Nicht wirklich, oder? Statt einfach zu fragen, schaute ich sie nur aus kleinen verheulten Augen an. Ihre Antwort war ein kurzes Kopfnicken in Richtung meines Zimmers. Ihr Blick leer, enttäuscht, ratlos. Ohne ein weiteres Wort schlich ich in mein Bett. In die atemlose Stille mischten sich nur die leisen Wortfetzen von Mama am Telefon und das fast unhörbare Knistern des Matratzenschoners unterm blauen Spannbettlaken. Noch so ein Ding, das einfach nicht aus meinem Leben verschwinden wollte. Ich hatte bis zu meinem achten Lebensjahr immer mal wieder ins Bett gemacht und das volle Bettnässer-Programm hinter mir. Inklusive unzähligen Arztbesuchen, Blasenpiegelung, Ultraschall, Klingelhose und Tabletten. Gebracht hatte alles nichts, also war Mama kurz nach meiner Einschulung auf diese Trainerhöschen umgestiegen. Eigentlich kein Problem, abgesehen davon, dass man mit 8 eigebntlich schon mal gerne auswärts übernachten möchte. Das kam für mich aber nicht in Frage. Kurz vor meinem neunten Geburtstag war der ganze Spuck dann vorbei. Ganz von alleine. Seitdem war ich “trocken”, wie mein Kinderarzt Dr. Weißgerber es bei den üblichen U-Untersuchungen in meine Patientenakte notierte. Was blieb, war dieser schreckliche Matratzenschoner. Sie werde das Ding ganz sicher nicht kurz vor meiner Pubertät entsorgen, sagte meine Mutter beim letzten Mal, als ich beim Wechseln der Bettwäsche die Diskussion um das Teil wieder anheizte. Da werde der Matratzenschoner sicher noch gebraucht. Ich hatte nicht wirklich eine Vorstellung, wie sie das gemeint hatte. Gab mich aber, wie eigentlich immer, geschlagen.

Heute war eh alles egal. Ich würde die nächsten 14 Tage zu Hause verbringen, statt mit Onkel Phil am Meer. Und wahrsscheinlich würde Mama auch die Spielkonsole einkassieren.  Durchschnittsferien eines Durchschnittstypen. Und alles nur, weil ich meinen Alltag nicht in den Griff bekommen hatte. “Du Vollidiot!”, war der letzte Gedanke, bevor ich einschlief und eine letzte Träne ihren Weg ins feuchte Kopfkissen suchte.

Kein Traum, nichts. Als ich am nächsten Morgen die Augen öffnete, konnte ich mich tatsächlich an keinen Traum erinnern. Seit ich denken konnte, träumte ich. Von meinem “echten” Leben, als mutiger Kerl. Beliebt. Reich. Außergewöhnlich. Nicht so in dieser Nacht. Da war einfach ein schwarzes Loch im Kopf. Das versetzte mich fast schon in Panik. Wozu noch aufstehen, wenn ich nichtmal mehr in meine Träume flüchten konnte? Und warum lag ich eigentlich auf der Gäste-Matratze unter meinem Hochbett? Weil es aus dem Flur nach Kaffee roch, schlich ich leise in unsere große Küche. Dort saß Mama und, das war jetzt ein Schock, Onkel Phil, der mich ernst ansah. Keine übliche High-Five-Begrüßung. Nur ein kurzes “Hallo Paul!”. Er hatte das am Telefon also tatsächlich ernst gemeint. Dass er auf dem Weg sei. Aber es war doch erst Samstag. Eigentlich sollte er erst am Sonntag hier eintreffen. Was war denn hier los?
“Guten Morgen!”, begrüßte mich meine Mutter knapp. “Wir mussten dich heute Nacht in dein Gästebett umziehen!”, beantwortete Mama eine der Fragen, die mir durch den Kopf gingen. “Dein Bett war klatschnass!” Panisch sah ich an mir herunter. Ins Bett gepinkel? Mit 12? Okay, fast 12? Nein, oder? Ich trug den bekannte TKKG-Schlafanzug. Gut, den hatte ich doppelt. Onkel Phil kam mir zur Hilfe. “Du hast sehr viel geheult, Paul!”. Uff. Okay. Erstmal die Atmung wieder in den Griff bekommen. Immerhin auf meine Blase konnte ich mich also auch in Ausnahmesituationen verlassen. Ich muss ein ziemlich komischs Bild abgegeben haben. Ein Beinahe-Teenager im Kinderschlafanzug, der mit gesenktem Kopf im Türrahmen steht, seine roten Schlaf-Socken mit Bob-der-Baumeister-Druck anstarrt und nicht so richtig weiß, wohin mit sich. Onkel Phil rettete die Situation. Er stand auf und drückte mich an sich. So fest, wie das nur Onkel Phil durfte. Ich begann schon wieder zu Schluchzen. Er trug mich zum Tisch und setzte mich auf meinen Stuhl. Ein unförmiges Ding, das früher mal ein Baby-Hochstuhl gewesen war und laut Hersteller ein echtes Wunderding war, weil es mit seinem Besitzer mitwuchs. Vom Babystuhl zur Teenie-Sitzgelegenheit. Eine Sensation des modernen Möbelbaus. Und ein echter Bestseller. Es saßen also ganz sicher unzählige Heranwachsende auf so einem Ding, das zwar nicht wirklich cool, aber saubequem war. Das tut jetzt aber nichts zur Sache. Entscheidend war, was dann folgte.

Mamas Vortrag zur Lage der Nation, bzw. meiner Situation. Überraschenderweise keine Vorwürfe. Dafür aber Konsequenzen. Die hatten es in sich, ließen sich aber immerhin alle auf konkrete Verfehlungen zurückführen. Die nächsten Monate würde ziemlich wenig Freizeit für mich bedeuten. Quasi gar keine. Eine fiese Kombi aus schulischen Nacharbeiten, Hausarbeit und organisierten Aktivitäten. Immer unter Aufsicht. Das Ziel: Ich sollte fit gemacht werden, für den Übergang auf ein “normales” Gymnasium. Kein Privatschul-Schlendrian mehr. Sondern das echte Leben. In einer echten Schule. Mit Durchschnittsschülern. “Los geht’s nach deinem Urlaub!”, erklärte meine Mutter. “Der wird auf knapp vier Wochen verlängert, weil deine neue Schule gerade saniert wird!”. Ich war noch dabei, die ganzen neuen Regeln in meinem Kopf einzusortieren und hatte den letzten Satz gar nicht wirklich mitbekommen. “Mh, ja”, nuschelte ich. “Schon okay. Darf ich bitte aufstehen? Ich bin satt.” Onkel Phil schüttelte grisend den Kopf. “Erde an Paul? Hast du deiner Mutter gerade zugehört?” Verwirrung. Dann, einmal im Kopf zurückspulen, soweit das bei dem ganzen Chaos da oben möglich war. Was hatte sie noch gleich gesagt? Nach “Nachhilfe”, “Förderkurs” und “Mathe-Camp?”. Ach ja, “Urlaub”. Aber der war ja gestrichen. War er doch? Halt, nein. Sie hatte gesagt “nach deinem Urlaub!”. Wie jetzt. Die Erkenntnis traf mich mit der Wucht eines Leberhakens. Phil hatte sie also tatsächlich rumgekriegt? Ich fiel Mama um den Hals. Und dabei liefen mir schon wieder die Tränen übers Gesicht. An der Heulerei musste ich wirklich mal arbeiten.

Über drei Wochen mit Onkel Phil am Meer. Das wird “Wahnsinn!”, platzte es aus mir heraus! “Ganz sicher”, kam es von Phil. “Wahnsinnig anstrengend!”. Bitte was? Warum denn das? Und dann kam der zweite Teil des Vortrags. Kurz zusammengefasst: Der Urlaub wurde zur Bildungsreise umgebaut. Viel frische Luft und jede Menge Aktivitäten. Aber auch ein straffes Lernprogramm. Mit Phil. Und diversen Nachhilfestunden. Jeden Tag. Drei Wochen lang. Bei der kleinsten Verfehlung hatte meine Mutter Phil das Versprechen abgenommen, mich umgehend in den Zug nach Hause zu setzen. Scheiß drauf, das würde sicher nicht passieren. Mama beendete ihren Monolog mit einem Fingerzeig in Richtung Aschentonne. “Schau mal rein!”. Unsicher marschierte ich zum Mülleimer. Deckel auf. Und schon wieder Tränen. Es war ein Massaker. Alle Spiele meiner Spielkonsole, fein säuberlich mit dem Hammer zerkleinert. Ganz unten blickte mit das gesprungene Display der Spielkonsole vorwurfsvoll an. Schöne Scheiße. Aber irgendwie hatte ich ja damit gerechnet. Der Schmerz war dennoch brutal. Und mit dem Schmerz kam die Wut. Die hatte aber keine Gelegenheit, sich richtig breit zu machen. Onkel Phil erkannte, dass ich drauf und dran war, die Fassung zu verlieren. Er schob mich ins Wohnzimmer um dort mit mir den detaillierten Plan für die Ferien zu besprechen. Inklusive der Mahnung, meiner Mutter jetzt auf keinen Fall einen weiteren Grund zu liefern, die Sachen abzublasen. Und diesmal final. Mama sollte währenddessen meine Taschen packen. Das machte sie eh immer. Die Marrotte sorgte zudem dafür, dass sie ausschließen konnte, dass irgendwelche Daddelgeräte mit auf die Reise gehen konnten. Zwei Stunden später war der Ferien-Plan fertig, In meinem Zimmer stand eine kleine Reistasche und ein ziemlich großer Koffer. Im Koffer befanden sich vor allem Schulbücher und Lernmaterialien. In der Reisetasche meine Klamotten. Viele waren es nicht. Ich war aus vielen Wintersachen “endlich” rausgewachsen. Also hatte Mama enfach alles in die Tasche gepackt, was noch an warmen Klamotten verfügbar war. Zwei warme Thermohosen, zwei paar warme Kniestrümpfe, ein paar Unterhosen, Unterhemden, Rollis, Pullover, Mützen, ein paar Handschuhe, einen Schneeanzug, eine Regenjacke, zwei Schals, einen Schlafanzug, gefütterte Gummistiefel, warme Filz-Hausschuhe, einen Jogginganzug, meine Badehose und fünf dicke Strumpfhosen, die aus dem Bestand eines Cousins stammten. Ich trug in der kalten Jahreszeit bereits seit ein paar Jahren eigentlich ausschließlich lange Unterhosen unter der Jeans. Die waren aber alle, bis auf die Grüne, die ich gestern Abend in die Wäschetonne geworfen hatte, deutlich zu klein geworden und längst entsorgt. Nachschub gab es erstmal nur aus der Reservekiste. Und die enthielt unter anderem die Strumpfhosen von Cousin Mike. Bis auf ein weinrotes Exemplar, alles gedeckte Farben. Immerhin. Ich wusste von den letzten Besuchen, dass Mike noch ganz andere Strumpfhosen auf Lager hatte. Der arme Kerl hatte drei große Schwestern. Seine Mutter war Mamas ältere Schwester und topte sie in Sachen Konsequenz und Sparsamkeit um Welten. Heißt: Mike hatte immer wieder das Vergnügen, die Klamotten seiner großen Schwestern aufzutragen. Rote Strumpfhose unter der Jeans. Im Sportunterricht. Da brauchst du ein dickes Fell. Und das hatte Mike. Neben einer echt kompromisslosen rechten Geraden und einer fundierten Ausbildung im Boxverein.

Egal. Hauptsache Urlaub. Der Rest war schnell erledigt. Duschen, Zähne putzen. Anziehen? Zog sich. Wäre heute ein normaler Tag, hätte ich bei der Klamottenwahl meiner Mutter sogar eine echte Szene gemacht. Weil die restliche warme “anständige” Kleidung im Koffer war, hatte Mama mir eine Garnitur meiner Ersatzklamotten rausgelegt. Standard-Unterwäsche mit wirklich fiesen Elefanten drauf (Slip, Unterhemd), grünes T-Shirt, gerippte hellbraune Strumpfhose, ein dunkelblauer PowerRangers-Pullover (ja, auch die fand ich mal gut) und eine ausgewaschene Latzhose. Eigentlich kein Drama. Bis auf die Latzhose. Die hatte mir lange Zeit gute Dienste geleistet, was deutlich an den geflickten Knien zu sehen war. Das Problem war auch gar nicht der Zustand der Hose, sondern die Tatsache, dass es eine Latzhose war. Wie peinlich. Onkel Phil saß derweil entspannt auf meinem Schreibtischstuhl, scrollte durch sein Smartphone und beobachtete interessiert, wie ich erst mit der Strumpfhose, dem Langarm-Shirt und schließlich der Latzhose kämpfte. “Ich ziehe das nicht an!”, motzte ich in meinen noch lange nicht sprießenden Bart. “Das ist doch Scheiße!”. Verzweifelter Blick. Wut, Trotz. Hilflosigkeit. “Wo ist denn dein Problem?”, kam von Phil. Einfache Frage, keine Antwort. Sah er denn nicht, wie peinlich diese Latzhose war? Offensichtlich nicht. “Paul, du führst dich auf, wie ein bockiges Kleinkind. Weil du eine HOSE anziehen sollst, die was ist? Alt? Blau?” Er verstand es anscheinend wirklich nicht. War aber noch nicht fertig. “Ich will eigentlich einen sehr coolen Urlaub mit meinem Neffen verbringen. Mit Wakeboarden, Bogenschießen und all dem Kram. Welche Klamotten du dabei trägst, ist mir völlig wurscht! Du kannst hier jetzt ein Fass aufmachen. Mit deiner Mutter. Unsere Abreise verzögern und dir selbst den Start in unseren Urlaub vermiesen. Oder du triffst jetzt ein paar Entscheidungen und setzt Prioritäten! Du bist mit den Sachen, die deine Mama dir rausgelegt hat nicht einverstanden? Dann musst du das künftig selbst machen. Und da gewöhnst du dich am Besten sehr schnell daran. Ich bin nämlich während unseres Urlaubs ganz sicher nicht dafür zuständig, dir Klamotten aus dem Schrank zu legen. Du entscheidest, was du anziehst. Was in die Wäsche muss. Ende der Durchsage! Ich warte im Wohnzimmer auf dich. Ich fahre mit dir hier um 12 Uhr los. Ob mit Latzhose, oder ohne.” Abgang, Tür zu. Wieder standen mir die Tränen in den Augen. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Elende Heulsuse. Aber hatte Onkel Phil 12 Uhr gesagt? Scheiße, das war in sechs Minuten. Ich riss meinen Kleiderschrank auf. Die Alternativen checken. Die Auswahl: sehr dürftig. Da hing noch mein dunkler guter Anzug, den ich während meiner Kommunion getragen hatte. Und dann noch zwei dünne Stoffhosen. Ein paar Bermudas. Alles nichts für Temperaturen um den Gefrierpunkt. Der Rest war ja in der Reisetasche. 4 Minuten. Vor meinem Auge sah ich schon, wie Phil mich mit Softshell-Jacke, Mütze, Schal, Gore-Tex-Stiefeln und brauner Strumpfhose ins Auto schleifte. Nur weil ich mit dieser dämlichen Latzhose auf Kriegsfuß stand. 2 Minuten. “Was bin ich nur für ein Rindviech”, sagte ich zu mir selbst und stiegt in die Latzhose. Den Pulli zog ich, einer Eingebung folgend, drüber und sorgte damit dafür, dass die Träger nicht zu sehen waren. Ein schneller Blick in den Spiegel. Cool war anders. Aber peinlich auch. Bitte, geht doch. Dann Schritt auf dem Flur, Onkel Phils Kopf in der Tür. Ein freundliches “Können wir los?” Sonst nichts. Als hätte es die Ansage von gerade eben nie gegeben. Krass.

Während Onkel Phil mein Gepäck in seinem Wagen verstaute, verabschiedete ich mich von Mama. Es gab natürlich wieder Tränen. Immerhin nicht nur bei mir. Sie drückte mich fest und flüsterte mir ins Ohr “Wir packen das schon!”. Das schnürte mir echt die Kehle zu. Es musste anders werden. Alles musste anders werden! Der Fresskorb, den Mama für uns hergerichtet hatte, holte mich aus der Sentimentalität. Jede Menge Brötchen, Kuchen und Snacks. Kaffee Cola für Onkel Phil, Apfelschorle für mich. War ja klar. Aber man konnte schließlich nicht alles haben. Gemeinsam gingen wir nach draußen. Mama nutzte die Gelegenheit, mich an die Regeln zu erinnern. Und an die Konsequenzen, wenn ich mich nicht in den Griff bekam. Heimfahrt. Umgehend. Ohne Vorwarnung. Ihr Blick war eindeutig und brannte sich fest in meinem Gedächtnis ein. Das würde nicht passieren. Ganz sicher nicht!

Natürlich kamen wir nicht ganz ohne Peinlichkeitseinlage los. Ich stand gerade sprachlos von Onkel Phils neuem Wagen. Ein ziemlich großes schwedischer Kombi. Helles Leder, wahnsinnig viel Platz und mehr Knöpfe als jedes technische Gerät, das wir im Haus hatten. Den Sicherungskasten im Keller inklusive. Wahnsinn. Unser winziger Korea-Kleinwagen, der daneben stand, hätte locker in den Kofferraum gepasst. Ich wollte gerade hinten einsteigen, als Mama mit den Worten “Himmel, den hätten wir fast vergessen” meinen “Kindersitz” aus unserem Auto zerrte. Ich wäre vor Scham gerne im hellen Teppich des Teppichs im Fußraum versunken. Ging aber nicht. Ja, ich war noch nicht 12 und ja, ich hatte auch längst noch nicht die erforderliche Mindestgröße, um ohne Sitz mitfahren zu dürfen. Und “Kindersitz” traf es natürlich auch nicht so richtig. Es ging konkret um eine Sitzerhöhung mit Rückenlehne und integrierter Kopfstütze. Kennt jeder. Und eigentlich kein Problem. Wenn die Farbe nicht wäre. Giftgrün mit lustigen kleinen Figuren drauf. Mama hatte das Ding bei einem Preissausschreiben unserer Krankenkasse gewonnen. Seitdem bestand ich immer öfter darauf, dass sie mich in der Querstraße vor der Schule rausließ. Das Teil war einfach zu schlimm. Das sah denn wohl auch Onkel Phil so und beugte sich mit einem “Den werden wir nicht brauchen” über die Rücksitzbank. Ein Griff und zwei Sekunden später, klappte ein Teil der Sitzfläche nach oben. Drunter schon sich eine Fußauflage nach Vorne. Lehne und Kopfstütze klappten nach Innen und formten ein Rückenteil, das der Lehne meines Kindersitzes ähnelte. Nur halt mit schickem hellen Leder bezogen. Zauberei. “Das haben ich Schweden alle Familienautos”, erklärte Phil meiner Mutter. “Ist viel sicherer, als diese wackeligen Einbaudinger!” Sprach’s und schob mich auf den Sitz. “Ich zeig dir einmal, wie du dich anschnallen musst. Künftig machst du das dann selbst!” Mit zwei Handgriffen war der Gurt an Ort und Stelle und ich im Sitz sicher angeschnallt. Mit einer Art Gurt, den ich so bislang nur in Rennwagen gesehen hatte. Krass! Mama war mehr als angetan, drückte mir einen Schmatzer auf die Backe und schickte uns auf die Reise.

Es dauerte über eine Stunde, bis ich meine Gedanken im Kopf sortiert hatte. Onkel Phil telefonierte währenddessen mit einem Auftraggeber und seiner Lebensgefährtin Mette. Die war Architektin und für sechs Wochen in Dubai. Sturmfrei, also für uns. Als Onkel Phil aufgelegt hatte, sagte ich, sehr leise und mit einem Klos im Hals “Danke. Für alles!”. Mehr nicht. Und Onkel Phil nickte und lächelte. “Wir werden jede Menge Spaß haben, verlass dich drauf!”.

Das tat ich. Und hatte es jetzt selbst verbockt. Wobei ich ja eigentlich unschuldig war. Aber das würde mir ja eh keiner glauben. Ich saß in einem saukalten Kellerbüro eines großen Elektronikmarktes auf Westerland und wartete auf Onkel Phil. Den riefen die Kaufhausdetektive gerade an, nachdem sich mich erwischt hatten. Ich hatte noch versucht, wegzulaufen. Blieb aber nach wenigen Metern an einem Regal hängen und hatte einen filmreifen Abgang die Treppe runter. Mein rechtes Handgelenk tat höllisch weh, von meinem linken Hosenbein und der grünen Strumpfhose drunter war nicht mehr viel übrig. Ich war klatschnass und roch erbärmlich. Auf dem Schreibtisch vor mir lag der Inhalt meines Rucksacks, inklusive zweier Spiele für eine mobile Spielkonsole, die ich gar nicht mehr besaß. Aber das wussten die beiden schrankbreiten Typen natürlich nicht. Ich hatte während der ganzen Aktion außer Phils Telefonnummer keinen Ton von mir gegeben. Was hätte ich auch sagen sollen? “... Wir informieren dann auch gleich die Polizei. Dazu sind wir verpflichtet! Und bitte bringen Sie frische Klamotten mit, die Kleidung ihres Neffen hat ziemlich gelitten!” Das war eine sehr zurückhaltende Beschreibung für meinen Zustand. Eine zerrissene Hose wäre sicher kein Problem gewesen. Es war aber alles noch viel schlimmer. Ich war von der Hüfte abwärts klatschnass. Und nein, es hatte an dem Tag nicht geregnet. Als mich der zweite Kaufhausdetektiv nach meinem Treppen-Stunt unten in Empfang nahm, öffneten sich bei mir vor Angst alle Dämme. Meine Blase war von der vielen Cola zum Bersten gefüllt. Vor Schreck wollte sich auch noch mein gereizter Darm entleeren, der mit einer halben Packung nicht ganz durchgegarten Bratwürsten kämpfte. Es kostete mich mein letztes bisschen Konzentration, meinen Schließmuskel wieder unter Kontrolle zu bekommen. Viel war es nicht, was in die Hose gegangen war. Aber es reichte, um mich mit jedem Atemzug daran zu erinnern. Bei meiner Blase hatte ich den Kampf aber verloren. Jetzt also auch noch die Polizei. Das war zu viel. Mein schöner Urlaub. Onkel Phil wird mich hassen. Mama wird kein Wort mehr mit mir sprechen. Scheiß Leben. Ich zitterte am ganzen Körper. Alles brach zusammen. Dabei war ich doch nur das Opfer. Schuld war nur diese kleine blonde Arschloch Ben.

Den hatte ich bereits am zweiten Tag auf Sylt kennengelernt. Wir waren nur eine Nacht in Onkel Phils Bahnhof geblieben. Dann hatten wir jede Menge Drachen, Foto-Equipment und Sportgeräte in den Kofferraum gepackt und waren nach Sylt gefahren. Dort teile sich Onkel Phil ein kleines Ferienhaus mit einem befreundeten Ehepaar. Im Herbst und Winter hatte er es praktisch zur freien Verfügung. Es war großartig. Ich hatte mein eigenes Zimmer. Und das kleine Büro im Keller wurde zu meinem Nachhilfe-Hauptquartier. Jeden Tag büffeln. Wie geplant. Lustig ist anders. Aber ich zog es durch. Auch weil Onkel Phil es mir selbst überließ, mich zu organisieren. Das kannte ich so nicht. Wollte aber alles dafür tun, diese Freiheit nicht wieder zu verlieren.

Am zweiten Tag auf der Insel, wir zogen gerade schwer bepackt auf der Suche nach schönen Foto-Motiven durch die Dünen, trafen wir Ben. Der saß auf einem alten Holzpfahl und tippte gelangweilt auf seinem Smartphone rum. Ich hätte ihn niemals angesprochen. Ben war 12, fast 13 Jahre alt und kam ziemlich offensichtlich aus einer anderen Galaxie. Hellblonde, halblange Haare, die unter einer sauteuren Skater-Mütze hervorquollen. Strahlend blaue Augen. Lässige Klamotten. Ein Pfahl weiter lehnte ein Longboard. Das Gegenteil von mir. Elite statt Durchschnitt. Und selbstbewusst bis zu den Haarspitzen. Trotzdem freundeten wir uns an. Oder besser: Er gab sich mit mir ab. Wahrscheinlich aus Mangel an Alternativen. Sylt im Herbst ist nicht gerade voll mit Jugendlichen. Außerdem war ich ja in Begleitung von Onkel Phil und der hatte noch nie Probleme gehabt, zu den Durchschnittsmenschen gezählt zu werden. Und so waren wir auch am nächsten Tag zu dritt unterwegs. Ben war, wenn man mal die ganze Kruste aus Überheblichkeit, Arroganz und Verwöhntheit abgekratzt hatte, eigentlich nicht besser dran als ich. Auch eine neue Erkenntnis, irgendwie. Er war mit seiner Mutter regelmäßig auf Sylt. Sie wohnten in einer sündhaft teuren Ferienwohnung mit Meerblick. Oberste Etage eines Luxuswohnanlage. Der zur Familie gehörende Vater war im Vorstand einer international agierenden Immobilienfirma und dementsprechend international aufgestellt. Heißt: nie da. Bens Mutter verbrachte die Sylt-Tage fast ausschließlich auf dem Golfplatz, dem Spa-Bereich oder auf irgendwelchen Empfängen. Ben hatte also praktisch immer Zeit. Und Langeweile. Entsprechend schnell kam er auf die Idee, Teil unseres Programms zu werden. Kein Problem für Onkel Phil, der sich trotzdem von Bens Mutter am Telefon ihr Einverständnis holte, dass ihr Sohn mit uns über die Insel zog. Alles easy. Für mich aber der Beginn der Katastrophe.

Am Tag drauf waren wir erst mit den Lenkdrachen am Strand und verbrachten dann den restlichen Tag beim Bogenschießen. Wir waren gar nicht schlecht. Und ich genoss es, mit gleich zwei coolen Typen unterwegs sein zu können. Komischerweise spielte es für Ben überhaupt keine Rolle, wie verschieden wir waren. Onkel Phil bekam zwischendurch einen kleinen Auftrag rein, den er am nächsten Vormittag erledigen wollte. Modefotografie am Strand. Der Gipfel der Langeweile. Ben und ich laberten also so lange auf Onkel Phil ein, bis der sich breitschlagen ließ, uns beide am nächsten Tag alleine auf Tour zu lassen. Klar: Handy an, erreichbar bleiben und um 15 Uhr pünktlich zurück zu Hause sein. Läuft.

Mit etwas Verspätung setzt Onkel Phil setzte mich am nächsten Morgen vor der Wohnanlage ab, in der Ben mit seiner Mutter logierte. Ich hatte ewig gebraucht, um mich für ein Outfit zu entscheiden. Zum Schluss hatte ich mich für meine einzige Cargo-Hose entschieden. Kombiniert mit einem lilfarbenen Pullover eines großen Sportartikelherstellers. Nichts Herausragendes, aber für Mr. Durchschnitt schon sehr gewagt. Bens Mutter war beim Frisör und würde erst gegen Nachmittag zurück sein. Wir hatten die riesige Wohnung also für uns. Inklusive sämtlicher Annehmlichkeiten. Nach einem Frühstück aus süßen Croissants und Unmengen Kakao hingen wir eigentlich pausenlos vor der Glotze. Die war so groß wie unsere Wohnzimmerwand. Pay-TV, Spielkonsole, Online-Games. Sofort war meine Sucht wieder da. Die guten Vorsätze? Scheiß drauf. Dazu gab’s Chips und Cola. Viel Cola. Was die Sache nicht besser machte. Gegen Mittag warf Ben eine Packung Bratwürste in die Pfanne, die wir aus Zeitmangel halb roh runterwürgten. Woher die Hektik? Nun, Ben hatte in Erfahrung gebracht, dass es im großen Elektronikmarkt ab 12.30 Uhr die Möglichkeit gab, einen neuen Ego-Shooter auszuprobieren. Da mussten wir hin. Dass die Wohnung aussah, als hätte ein Rudel wilder Hunde darin gehaust, störte Ben nicht weiter. Am Nachmittag kam die Putztruppe. Pünktlich um 12.30 hingen wir also an den Controllern im Elektronikmarkt und ballerten uns die virtuelle Munition um die Ohren. Ich war wie im Rausch. Für Ben stand nach 30 Minuten fest, dass er dieses Spiel haben müsse. “Hast du denn so viel Geld dabei?”, fragte ich ins Spiel versunken. “Ja,ja!”, kam unter der Skatermütze hervor, bevor Ben zwischen den Regalen verschwand. Zehn Minuten später stand er wieder neben mir, reichte mir meinen Rucksack und zog mich mit einem “Lass uns gehen!” zum Ausgang. So weit kamen wir aber gar nicht. Als der erste Kaufhausdetektiv neben uns auftauchte, überschlugen sich die Ereignisse. Ben verschwand blitzartig zwischen den Gängen und war wenige Augenblicke später verschwunden. Ich wusste nicht mal ansatzweise, was los war. Wollte aber einem Reflex folgend ebenfalls türmen. Mit bekanntem Ergebnis. Treppen-Sturz, Hose kaputt, Hand-Aua, Eingepinkelt, Panik, Onkel Phil, Polizei.

10 Minuten später der erste Lichtblick. Ein Klopfen an der Tür, dann kniete Onkel Phil vor mir. Warf eine Decke über mich und schloss mich in die Arme. “Pass auf, ich bin ganz nass!” war das Einzige das mir einfiel. “Scheiß drauf. Aber ich muss das jetzt kurz mit den beiden Detektiv-Schränken klären. Wartest du kurz?” Mehr als ein Nicken und ein Schniefen bekam ich nicht zustande. Reichte ja aber auch. Im Vorraum, sah ich Onkel Phil mit den beiden diskutieren. Inzwischen waren auch zwei Polizeibeamte da. Einer davon, eine junge Beamtin, kam kurz darauf mit Onkel Phil zu mir. Der sagt nur “Paul, du wirst Frau Breier jetzt die ganze Geschichte erzählen. Alles. Jedes Detail. Und nichts als die Wahrheit. Sonst kann ich nichts mehr für dich tun!”. Ich wurde bleich. Nickte aber. Und dann erzählte ich den ganzen Mist noch einmal. Danach ging alles ganz schnell. Frau Breier ließ sich die Aufnahmen aller Überwachungskameras zeigen. Und die bestätigten so ziemlich alles, was ich erzählt hatte. Und noch viel mehr. “Kuck an, der Ben!”, meinte ihr Kollege im Anschluss. “Der hat in so ziemlich jedem Laden der Stadt Hausverbot. Ein chronischer Ladendieb. Obwohl er das nun wirklich nicht nötig hätte.” Jetzt war ich baff.  “Und wie kamen die beiden Spiele in Pauls Rucksack?”, fragte Onkel Phil. “So”, mischt sich einer der Detektive ein und hielt ein Bildschirmfoto von einer der Überwachungskameras in die Runde. Darauf zu sehen: Ben, wie er die beiden Verpackungen in die Seitentasche meines Rucksacks steckte. “Dieses Arschloch!”, flüsterte ich, bevor zitternd in die Knie ging. Ich hatte das erst Mal das Gefühl gehabt, dazu zu gehören. Nicht mehr nur Durchschnitt zu sein. Und dann sowas. Verarscht und gedemütigt von so einem Premium-Windbeutel. Onkel Phil wechselte noch ein paar Sätze mit den Beamten, unterzeichnete das Protokoll und bekam dann grünes Licht, mich mit nach Hause zu nehmen. Ohne zu zögern nahm er mich in die Decke gehüllt auf den Arm und meinte beim Rausgehen “du riechst ganz schön streng, Kollege. Lass uns zusehen, dass wir dich in die Badewanne bekommen”.

Ich war durch den Wind. Aber so richtig. Von der Fahrt vom Elektronikmarkt zu unserem Ferienhaus bekam ich praktisch nichts mit. Ich fror erbärmlich, war verwirrt, gedemütigt, durcheinander, erschöpft und hatte fiese Bauschmerzen. Diese verdammten Würstchen. Als wir in die Auffahrt fuhren, fragte Onkel Phil ob ich den Weg ins Haus selbst schaffen würde? Das sollte gehen, meinte ich. Ging auch. Ich kam bis zur Toilette. Schloss mich ein, streifte die Decke ab und knöpfte meine Hose auf. Aus der Strumpfhose zu kommen, war deutlich schwieriger. Und eine echt eklige Sache. Diese kalte klamme Nässe. Und dann noch die grauenvolle Erwartung, wie meine Unterhose aussehen würde. Mir war schlecht. Mein Darm fuhr Achterbahn. Half ja alles nichts. Ich musste jetzt aus diesen versifften Sachen raus. Gefühlt dauerte es eine Ewigkeit. Dann war ich das klamme Zeug wirklich los. Den Anblick meiner Unterhose konnte ich kaum ertragen. Onkel Phil klopfte nur einmal kurz an. Keine Fragen. Nichts. Nur eine knappe Info: “Vor der Tür liegt ein blauer Müllsack. Stopf da einfach alles rein, was du loswerden willst. Außerdem ein altes T-Shirt von mir. Das kannst du drüber ziehen, bevor du ins Badezimmer gehst. Ich lasse dir das Badewasser ein und leg dir Klamotten raus!”. Das tat so gut. Ich holte die Sachen rein und verzog mich erstmal auf die Toilette. Danach ging’s mir besser. Noch lange nicht gut. Aber besser. Zwei Stunden später saß ich auf dem Sofa. Frisch gebadet. Der Kamin spuckte Unmengen heiße Luft ins Zimmer, Onkel Phil hatte mir einen Kamillentee gebraut und zwischenzeitlich Toilette und Badezimmer wieder auf Vordermann gebracht. Sehr ekelig. Kalt war mir dennoch. Trotz dicker Strumpfhose, Jogginghose und Wollpullover. “Das ist der Schock”, meinte Onkel Phil. Das wird auch noch ein bisschen dauern, bis du das weggesteckt hast. In meinem Kopf überschlugen sich die Ereignisse noch immer. “Wir rufen jetzt deine Mama an”, hörte ich Onkel Phil plötzlich sagen. Das war ja klar. Musste ja so kommen. “Kannst du das bitte machen?”, sagte ich mechanisch und steuerte mein Zimmer an. “Ich geh dann schonmal packen…”.

30 Sekunden später lag die Reisetasche auf meinem Bett. Ich heulte, wie ein kleines Kind. Das war mir in diesem Augenblick aber völlig egal. Ich hatte es vermasselt. Ich würde in spätestens zwei Stunden im Zug nach Hause sitzen. Ende Gelände. Als die Tür aufging war klar, dass Onkel Phil ins Zimmer kam. Ich konnte ihm nicht in Gesicht schauen sondern pfefferte meine gesamten Habseligkeiten in die Tasche. Irgendwann tippte Onkel Phil mir auf die Schulter. “Was machst du da eigentlich?”, fragte er mich allen Ernstes. “Siehst du doch. Ich habe ganz großen Mist gebaut. Und wir hatten die Regel, dass ich in dem Fall zurück nach Hause muss. Also ziehe ich die Konsequenzen und packe meine Sachen! Das wollt ihr doch immer. Mama und Du. Dass ich Verantwortung für meine Handlungen übernehme. Mach ich jetzt!” Oh. Das klang jetzt aber sehr heftig. Hab ich das wirklich so gesagt. Ja, offensichtlich. Onkel Phil kuckt, als hätte er gerade einen Geist gesehen. Hielt natürlich nicht sehr lange an, der Zustand. “Ich hoffe, du hast kein Fieber”, antwortete er kurz und knapp. Warf mich auf mein Bett und gab das Kommando “zuhören!”. Tat ich dann auch. Es folgte ein für Onkel Phils Verhältnisse sehr langer Monolog darüber, wie er die Sache sähe. Und übrigens auch meine Mutter. Schuld, so erklärte er, haben wenn überhaupt dieser Rohrkrepierer Ben. Und er selbst. Er hätte mich niemals alleine mit ihm rumziehen lassen sollen. Habe er aber, und das täte ihm unendlich leid. Also, kein Ticket zurück. Sondern ein Sonderlob dafür, dass ich im Gespräch mit der Polizistin so ehrlich war. Und, weil er wirklich ein schlechtes Gewissen hatte, heute Abend das Essen meiner Wahl. Inklusive Nachtisch. Wahnsinn. Ich war sprachlos. Vor Glück. Aber trotzdem überfordert. So viel verrücktes Zeug, alles an einem Tag.

“So, und jetzt packst du ganzen Krempel wieder aus und ziehst dir bitte was an, mit dem wir einkaufen können! Ich brauche ja schließlich Zutaten für dein Festessen. Was soll’s eigentlich geben?” Blöde Frage.”Spaghetti Carbonara, natürlich! Und als Nachtisch Panna Cotta!” Alles easy, meinte Onkel Phil. “Aber dann machen wir auch die Spaghetti selbst!”. Und so folgte  dem katastrophalsten Tag meines Lebens ein wirklich cooler und sehr langer Abend. Weil es natürlich eine Ewigkeit dauerte, bis ich den Dreh mit der Pastamaschine raus hatte. Außerdem bestrafte Onkel Phil jeden Fehler mit einer Ladung Mehl, die quer durch die Küche flog. Und ich revanchierte mich nach Kräften. Die Küche sah aus wie ein Schlachtfeld. Aber ich war glücklich. Und sah aus wie ein Mehl-Monster. Zum Glück hatte ich mich dazu entschieden, Jeans und Pullover vor der Kocherei in meinem Zimmer zu lassen. Das gelbe T-Shirt und die hässliche weinrote Strumpfhose mussten reichen. Außerdem war mir, anders als heute Nachmittag, inzwischen auch wirklich wieder warm. Fast schon zu warm. Vor dem Essen schickte Onkel Phil mich in weiser Voraussicht noch ins Bad, um meinen Schlafanzug anzuziehen. Ich warf also die ehemals weinrote Strumpfhose und das ehemals weiße Shirt in den Wäschekorb und setzte mich auf die Toilette. Ich hatte wirklich viel Kamillentee und Apfelschorle getrunken. Die Flüssigkeit wollte jetzt raus. Das klappte aber nur bedingt. Außerdem brannte es beim Pinkel ein bisschen. Egal. war ja insgesamt ein ziemlich verrückter Tag. Und außerdem hatte ich wirklich Hunger. Während des Nachtischs forderte der lange Tag dann seinen Tribut. Ich schlief nach langem Kampf am Tisch ein. Mit einem Löffel Panna Cotta in der Hand. Onkel Phil trug mich leise in mein Zimmer, legte mich aufs Bett und deckte mich zu. Er hatte noch einiges zu tun. Viel Wäsche waschen, zum Beispiel. Und eine Küche zu putzen. Und einer Mutter reinen Wein über ihren missratenen Sohn einzuschenken.

Es sollte eine kurze Nacht werden und noch viel zu tun geben. Aber davon wusste er jetzt noch nichts.

Ich schlief wie ein Stein, träumte von blonden Computerspiel-Monstern, Wellness-Mami-Zombies und einer eiskalten Flutwelle, die mich in die Tiefe riss. Ich schrie, strampelte und versuchte zu atmen. Keine Luft, Kälte. Dann: Nichts mehr. Nur wohlige Wärme, ein Licht und eine Hand, die sich auf meine Stirn legte. Das Licht kannte ich. Es war der Halogenstrahler in meinem Zimmer. Zur Hand kam dann noch eine Stimme, die mich endgültig aus dem Land der Träume holte. “Paul, du hast im Schlaf geschrien!”, erklärte Onkel Phil ruhig. “Ich fürchte, du hast Fieber.” Aha. Ja und? “Dann muss ich jetzt schlafen”, grummelte ich und wollte nur möglichst schnell wieder unter die Decke. “Ich fürchte, das geht nicht”, sprach Onkel Phil ruhig weiter. “Wir müssen vorher dein Bett frisch beziehen”. Was? Jetzt war ich wirklich wach. Meine rechte Hand fuhr zu meiner Hose. Alles nass. Bettlaken? Auch. Bettdecke. Ebenfalls nass. Sofort kam die Panik in mir hoch. Und die Scham. Ich hatte nach so vielen Jahren wieder ins Bett gepinkelt. Im Ferienhaus von Onkel Phil. Wie tief konnte man denn bitte noch sinken? Während ich in Scham und Selbstmitleid zerfloss, hatte Onkel Phil längst wieder in den Verstands-Modus geschaltet. “Geh bitte ins Bad und zieh die nassen Sachen aus. Vielleicht willst du dich auch schnell duschen?” Ich lege dir gleich frische Sachen vor die Tür. So kam es dann auch. Statt eines Schlafanzugs lagen da aber ein grüner Slip, ein ein grünes Unterhemd, eine hellblaue Strumpfhose und ein T-Shirt. Häh? Ach so. Mama hatte mir ja nur einen Schlafanzug eingepackt. Konnte ja keiner damit rechnen, dass sowas passiert. Der Rest der Nacht verlief dann vergleichsweise ruhig. Ich wurde erst gegen kurz vor 9 Uhr wach und schlich in die Küche. Da hatte Onkel Phil schon den Frühstückstisch gedeckt und sah mich besorgt an. “Du siehst nicht gut aus”, begrüßte er mich mit einem gequälten Lächeln. “Ja, sehr witzig”, antwortete ich gereizt. “Ich pinkle ins Bett wie ein Kleinkind und latsche in Strumpfhosen durch die Gegend. Wie soll man da schon aussehen?” Sieh an, mein Humor funktionierte also noch. “Netter Versuch, Kollegen”, kam die Antwort. “Du weißt genau, dass es darum nicht geht. Du hattest Fieber. Hast es wahrscheinlich noch. Deshalb marschieren wir gleich im Anschluss zum Arzt. Ich habe bereits einen Termin gemacht, wir werden schnell drankommen!” Na toll. Auf der anderen Seite fühlte ich mich wirklich hundeelend. Und dann war da wieder dieses Brennen auf der Toilette. Auf dem Weg zu Kinderarzt Dr. Eisenmann wäre dann beinahe das nächste Missgeschick passiert. Kaum hatte ich einen Fuß in die Praxis gesetzt, musste ich unfassbar dringend pinkeln. Ich stürzte zur Toilette und schaffte es so gerade eben, die nächste Blamage zu verhindern. Aus dem Brennen war zwischenzeitlich ein fieses Stechen geworden. Mir traten die Tränen in die Augen. Das Tat höllisch weh, verdammt. Tapfer brachte ich die Sache zu Ende. Dr. Eisenmann, ein sehr alter Herr mit dicker Brille, braucht keine fünf Minuten für die Diagnose. “Eine akute Blasenentzündung. Nicht ungewöhnlich, wenn man die Geschichte des gestrigen Tages kennt. Nicht schlimm, sehr gut zu behandeln. Aber halt ein bisschen langwierig. Das kann schon 14 Tage dauern, bis das alles wieder normal funktioniert! Ich schreibe dir jetzt ein Mittel gegen die Schmerzen auf. Und dann noch ein Antibiotikum. Damit wird es dir schnell besser gehen!” Na toll. Den Rest des Urlaub Medikamente. Ich hatte einen echten Lauf, gerade. “Können wir denn trotz Antibiotikum raus gehen?”, fragte Onkel Phil? “Aber unbedingt”, führte der Doc aus. “Nur halt keine körperlichen Belastungen. Sehr viel trinken. Und lieber eine Schicht mehr drunter ziehen! Und für die Nacht schreibe ich Ihnen noch Einlagen auf. Prophylaktisch. Ich habe in deiner digitalen Krankenakte gelesen, dass du eine Weile Probleme mit der Blase hattest?” Pling. Schon wurde ich knallrot. “Aber ich will keine Windeln!”, wimmerte ich. “Einlagen, junger Mann. Und das Rezept ist rein vorsorglich. Es kann gut sein, dass ihr es überhaupt nicht braucht!” Damit gab ich mich erstmal zufrieden. Irgendwo ganz tief drin wusste ich aber, dass wir das Rezept bei meiner aktuellen Glückssträhne definitiv brauchen würden…

Wird vielleicht fortgesetzt...

2 Kommentare:

  1. Wow....
    Das nenne ich eine Geschichte. Wirklich gut geraten, nicht so wie manch eine andere nach dem motto schnell hingeschrieben, sondern gut duchdacht.
    Die Figuren haben wirklich ein leben, man wird nicht in irgendeine storry hereingeworfen sondern man wird langsam an die Figuren heran geführt.
    Trotz paar Tippfehlern (passiert selbst den bessten Lektoren) sehr lesenswert.
    Unbedingt weiterschreiben

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  2. SUPER!!! Diese Geschichte hat endlich mal eine Handlung, die nicht nur davon handelt: Windel voll, kiegst 'ne Strafe, will nicht. Es würde einem Buch alle Ehre machen da es nicht nur von Windeln handelt!

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